Claudia Aravena Abughosh
Bildende Kunst
Film / Video / Installation
Amerika / Chile / Santiago de Chile 
Europa / Deutschland / Berlin 
Asien/ Palästina

Von Stefan Zednik
Für Culturebase HKW


„My eyes want to understand“/ “Meine Augen wollen verstehen”


Abstract
Die als Tochter einer palästinensischen Mutter und eines chilenischen Vaters 1968 in Santiago de Chile geborene Claudia Aravena Abughosh bewegt sich persönlich wie in ihrer filmischen Arbeit „zwischen den Welten“. Die Themen ihrer experimentellen Videofilme und Videoinstallationen sind die Mechanismen des Erinnerns, Bewahrens und Vergessens von Bildern – subjektiver Bilder, die zu kollektiver Erinnerung werden und kollektiver Bilder, die das subjektiv Erlebte wach halten.

Copytext
„Warten ist ein Zustand. Warten ist die höchste Form menschlicher Verschwendung: Krankheiten sind oft heilbar, verlorene Zeit ist unwiderruflich verloren. Für Menschen, die in einem anderen Land leben, wird die Existenz in den ersten Wochen, Tagen, Jahren zu einem Warten. Warten auf die kleinen Genehmigungen, auf die großen Perspektiven“. Diese Beobachtung führte Claudia Aravena zu einer Installation, die sie 1999 für das Berliner Podewil erstellte. Sie arrangierte gesichtslose Wartebänke wie in einer Behörde, setzte sich teilweise stundenlang darauf und dokumentierte dieses sinnlose Warten durch Videoaufzeichnungen. Hohle Sätze, die die Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschen in einer solchen Situation garnieren sollen – es gibt sie in jeder Sprache und Kultur der Welt – karikieren dieses Ritual der Demütigung: „Eile mit Weile“, „Kommt Zeit, kommt Rat“, „Steter Tropfen höhlt den Stein“ usw. Ein monotoner Tropfschlag in ein Wasserbecken begleitet diese endlos lange Leere.

Aravena setzt sich in ihren Videoarbeiten oft mit der Sprache auseinander. Sie verwendet Texte sowohl in gesprochener wie in geschriebener Form, eingeblendet in die Sequenzen ihrer Filme. Sprachliche Aussagen stehen den Bildern gegenüber, befinden sich häufig auch im Kontrast zu ihnen. Mitunter vermischen sich die kommentierenden Stimmen in ihren Videos, wie wenn eine unbewusste einer bewussten Ebene entgegensteht. Sprache gehört zu einer Region, sie stiftet vermeintlich Identität – oder deutet gerade auf die Brüchigkeit von Identität. Es ist kein Zufall, wenn die in Deutschland entstandene Arbeit “berlin: been there/to be here” mit den Worten „resist – bear – adapt – alloy – forget“ beginnt. Wie in einer Ouvertüre sind hier die zentralen Motive benannt: widerstehen, aushalten, ertragen, übernehmen, vermischen, vergessen. Es geht um die Möglichkeiten, die wir haben, mit den Bildern und dem Erinnern umzugehen. Ähnlich verhalten sich die Motive zueinander: Die Bilder privater Erinnerung stehen denen des öffentlichen Lebens gegenüber. In dem Berlin-Video scheinen dabei die Bilder von Straßenszenen einen beinahe privaten Charakter zu haben. Demonstranten sind Individuen, festgehalten wie auf vergilbten Fotografien, durch Schneetreiben verklärt, subjektiv und sehr persönlich gesehen, ohne den Bezug zu ihrem politischen Anliegen.

Hier liegt ein Schlüssel zu der Arbeit Aravenas. Es geht nicht um die Dokumentation äußerer Sachverhalte, nicht um die Beschreibung äußerer Realität. Aravena interessiert, vor allem in ihren jüngeren Arbeiten, der Bezug solcher Realität zum Inneren des „Sich Erinnernden“. Hier macht das deutsche Wort eine geheimnisvolle Wahrhaftigkeit bewusst. Sich Erinnern heißt nicht, etwas Geschehenes wachzurufen, sondern den inneren Speicher zu aktivieren, der das Ereignis festhält. Dabei entsteht eine komplizierte Verflechtung von innerem und äußerem Bild, von subjektiv festgehaltener und objektiv nachvollziehbarer Wahrheit. Die Durchdringung beider Bereiche mündet in einer Kultur des geschichtlichen Erinnerns oder, mit negativem Vorzeichen, einer „Amnesie des Vergessens“, wie Aravena es nennt. Für sie ist Letzteres die Grundhaltung in Chile, in ihrer Sicht „eine regelrechte soziale Krankheit: Man interessiert sich kaum für das, was war, es zählt nur das Jetzt. Man lebt einfach weiter, die einfachste Form der Überlebensstrategie.“ In Deutschland herrsche die entgegengesetzte Haltung: „Überall stößt man auf die Vergangenheit, auf das Bemühen, nicht zu vergessen, nicht zu verdrängen. Es gibt geradezu eine Kultur des Nicht-Vergessens.“

Wie schwierig und vielschichtig die Überlagerungen von Vergessen und Erinnern, von Bildern als kollektivem Gut und nur begrenzter Wirkkraft sein können, zeigt sich an einer der interessantesten Arbeiten Aravenas. Sie gewinnt dem Thema „11.September“ eine äußerst spannende Facette ab, die man hier zu Lande so nicht erwartet. Der 11. September ist auch das Datum des chilenischen Militärputsches von 1973, der Beginn der Militärdiktatur. Aravena schneidet geschickt die allzu bekannten Bilder der brennenden Hochhäuser in Manhattan gegen die eines brennenden Palastes. Ein öffentliches Bild steht gegen ein anderes – allerdings mit dem Unterschied, dass das eine im Bildergedächtnis der Weltöffentlichkeit liegt, das andere jedoch auf das Gedächtnis hauptsächlich des chilenischen Volkes beschränkt ist. Schon bei der Rezeption durch intellektuelle Fachleute wird diese Differenz spürbar. So beschreibt etwa der Kritiker der Süddeutschen Zeitung Aravenas Film: „In einer eindringlichen Montage schneidet sie Nachrichten-Bilder der brennenden Twin Towers mit einem in Feuer aufgehenden Regierungsgebäude gegeneinander. Der Betrachter kann nur mutmaßen, dass es sich dabei um den Einmarsch von US-Truppen 1989 im von Manuel Noriega regierten Panama handelt.“ Die Chiffre wird missverstanden, die Gültigkeit des Zeichens ist begrenzt. Für Aravena kommt jedoch ein Weiteres hinzu. Die Bilder des brennenden Palastes sind für sie die Wurzeln einer tiefemotionalen Erfahrung, einer sehr subjektiven Identität. Sie sind der Schlüssel zu ihrer Sozialisation als eines in einer Diktatur aufgewachsenen Menschen. Und so bekommen scheinbar verbrauchte Bilder einer globalen Medialität plötzlich einen Bezug, der sie menschlich werden lässt: Indem sie die persönlichsten Gefühlserinnerungen wieder wachrufen.




Interview

Sie sind in Chile geboren und aufgewachsen?

Ja, ich bin als Tochter einer Palästinenserin und eines Chilenen dort aufgewachsen. Palästinenser in Chile: Das ist eine seltsame und lange Geschichte, eine sehr alte außerdem. Merkwürdigerweise findet sich in Chile die größte palästinensische Kolonie außerhalb der arabischen Länder. Irgendwie sind alle in Chile gelandet. Das Land war sehr offen für Flüchtlinge, Migranten usw., die bürokratischen Hürden waren schon vor hundert Jahren scheinbar nicht ganz so hoch wie andernorts. Es war damals schwieriger, beispielsweise in die USA oder nach Europa zu kommen als nach Chile.

Das Thema Migration ...

... ist wirklich ein großer Schwerpunkt in meinem Leben. Ich bin zwar nicht in einem Ghetto aufgewachsen, aber in der Tat war die arabische Gemeinschaft, die palästinensische Kolonie doch in ihrer Abgrenzung für mich deutlich erfahrbar. Es zentrierte sich in Santiago in einem Stadtbezirk, er heißt „Patronato“, in dem sich alles konzentriert. Vergleichbar mit dem Bezirk Kreuzberg in Berlin und den dort lebenden Türken. Es bildeten sich Zentren, man blieb oft unter sich ...

... und sprach Arabisch?

Nein, ich spreche leider nur sehr wenig Arabisch, meine Muttersprache ist Spanisch. Zu Hause wurde die Sprache meines Vaters gesprochen.

In Chile aufgewachsen zu sein bedeutete für Sie, in einer Diktatur gelebt zu haben.

Ja, ich habe meine Jugend unter einer Militärdiktatur verbracht. Als Allende an der Regierung war, war ich vier ... 1992 bin ich dann zuerst nach Paris gegangen, später nach Berlin. Heute fühle ich mich heimatlos, aber nicht im negativen Sinne. Es gibt kein festes Land unter den Füßen, und dennoch fühle ich mich wohl hier. Dieses Gefühl hat sich konvertiert in einen Teil meiner Identität, man lebt in einer Art Zwischenort, einer Art „Dislocation“.

Dennoch ist das Land Ihrer Geburt nicht irrelevant für die Themen Ihrer Arbeit?

Chile ist für mich nicht nur in privater Hinsicht relevant geblieben. Gerade in jüngster Vergangenheit beschäftige ich mich mehr und mehr mit Chile. Ich habe z.B. eine Videoinstallation in der Untergrund-Bahn von Santiago gemacht, und auch der 11. September, der heute durch das Ereignis in New York ins kollektive Gedächtnis gebannt ist, spielt für die Chilenen noch eine ganz andere Rolle.

Der Jahrestag des Militärputsches ...

... genau: der 11.September 1973. Für die Weltöffentlichkeit ist dieses historische Ereignis zu einer Fußnote geworden. Für Chilenen ist es äußerst präsent. Am 11. September 2001, als ich die Bilder aus New York sah, war mein erster Gedanke: Das kann kein Zufall sein. Vielleicht gibt es noch irgendeine verschrobene Splittergruppe, die jetzt auf solch perfide Weise Rache nimmt an den Amerikanern, die mit Hilfe des CIA damals wesentlich dazu beigetragen haben, die Diktatur zu installieren. Ich habe in einer Arbeit diese Ereignisse gegeneinander gestellt, und viele Europäer haben es nicht identifizieren können und orteten die Bilder des brennenden Präsidentenpalast in Panama. Mein eigenes Bildergedächtnis – und das kollektive Gedächtnis meiner Landsleute – als Maßstab nehmend, habe ich das Erinnerungsvermögen europäischer Betrachter offenbar falsch eingeschätzt.

Das zweite Hauptthema Ihrer Arbeit?

Ja, mich interessiert sehr die Verschränkung von privater, subjektiver und kollektiver Erinnerung. Es gibt immer beides, und genauso gibt es auch verschiedene Weisen, mit der Erinnerung umzugehen. Was mich an Deutschland, was mich an Berlin fasziniert, ist die Erinnerungsbereitschaft. Überall stößt man auf die Vergangenheit, auf das Bemühen, nicht zu vergessen, nicht zu verdrängen. Es gibt geradezu eine Kultur des Nicht-Vergessens. Vielleicht liegt das an der besonders extremen neueren Geschichte der Deutschen, ich weiß es nicht. In Chile gibt es eine absolut konträre Haltung, ich nenne sie die „Amnesie des Vergessens“. Es ist eine regelrechte soziale Krankheit: Man interessiert sich kaum für das, was war, es zählt nur das Jetzt. Man lebt einfach weiter, die einfachste Form der Überlebensstrategie. Beide Haltungen können nützlich und schädlich sein. Entscheidend ist die Balance zwischen beiden. Wie auch das aufeinender zu gehen von privater und kollektiver Erinnerung wichtig ist.  
     
Würden Sie sich damit als politisch motivierte Künstlerin begreifen?

Nein, auf jeden Fall nicht direkt, nicht im engeren Sinn. Ich bin ein sehr politischer Mensch. Aber ich mache keine Pamphlete. Dazu bedarf es keiner künstlerischen Anstrengung. Mich interessiert eher, was sich hinter Haltungen verbirgt, wie sie sichtbar gemacht werden können, wie sie sich verändern, wie das Subjektive zum Kollektiven wird usw.

Ein Wort zu Ihrer Situation als unabhängige, nicht kommerziell arbeitende Filmemacherin?

Es ist schwierig, immer schwierig, solche Sachen zu machen. In Deutschland ist es etwas leichter, ich konnte mich hier besser konzentrieren, auch wenn man oft daran denkt, wie es weitergehen mag. In Deutschland aber hat das Medium selbst in der Bildenden Kunst keine Legitimationsprobleme. In Chile ist das noch nicht so. Man wird manchmal als Künstler nicht richtig ernst genommen, wenn man nicht zeichnet oder malt. Das ist hier anders. Außerdem gibt es viele Festivals, auf denen sich die Interessierten mit diesen Dingen auseinandersetzen. Die Palette ist viel breiter.

Woran arbeiten Sie zur Zeit (Dezember 2002)?

Ich habe bereits über meine chilenisch-palästinensische Herkunft gesprochen. Dem bin ich nachgegangen, der Frage, wie die Vergangenheit der chilenischen Palästinenser von Palästina aus erlebt wird. Ich bin dorthin gefahren, habe Verwandte getroffen, die ich gar nicht kannte und habe dabei einige überraschende Erfahrungen gemacht. Leute, über fünf Ecken mit mir verwandt, von denen ich nicht einmal die genaue Adresse hatte, kannten mich. Sogar die Nachbarn dieser Leute wussten etwas über mich. Und in ihren Fotoalben fand ich Bilder aus meiner Kindheit, die ich selbst noch nie gesehen hatte. Es gibt da Verbindungen, die weit über gemeinsam gelebte Kontakte hinaus gehen. Das hat mich fasziniert: Hier gibt es Erinnerung an etwas, das Menschen gar nicht gelebt habe. Reale Bilder einer vorgestellten Realität. Das hat mich fasziniert. Ich will versuchen, die Heimat – Palästina – wieder nach Chile zurückzuholen. Die Bilder sollen als Videoinstallation im Bezirk der Palästinenser, im Stadtbezirk „Patronato“, in den Straßen projiziert werden.

Das Gespräch führte Stefan Zednik im Dezember 2002.


Internet

Veranstaltungen im HKW
7. April - 2. Juli 2000
Heimat Kunst
Veranstalter: Haus der Kulturen der Welt

Kontakt: Gabriele Stiller-Kern stiller.kern@t-online.de


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